"Ich werde das auch immer tun, solange ich weiß, dass es Rassismus gibt" Im Gespräch mit Zülfukar Çetin.

This blog post is part of the investigation: 

Zülfukar Çetin ist Soziologe und unter anderem bei Allmende e.V. politisch aktiv. Dieses Interview begann im Anschluss an das Festival gegen Rassismus (August 2012, Berlin) und endete im Januar 2013.

 

Das Interview führte Sabrina Apicella.

 

 

Deine Studie „Homophobie und Islamophobie. Intersektionale Diskriminierungen am Beispiel binationaler schwuler Paare in Berlin” ist Anfang 2012 erschienen. Seitdem ist einiges im Bereich des Rassismus und des anti-muslimischen Rassismus geschehen, was auch die Themen deiner Forschung streift. Fast wöchentlich trudeln neue Informationen rund um den NSU-Skandal herein, Hinweise auf institutionellen aber auch alltäglichen Rassismus. Begleitet werden sie von der Beschneidungsdebatte, den Reaktionen auf die Mohammed-Film-Proteste oder dem neuen Buch vom Neuköllner Bürgermeister Buschkowski. Gleichzeitig hat Kotti&Co den „Kotti” besetzt, das Festival gegen Rassismus hat stattgefunden und zahlreiche Flüchtlinge haben bei ihrem Refugee March nach Berlin ganz Deutschland durchkreuzt und halten den Oranienplatz besetzt. Es scheint, als hättest du den Zahn der Zeit getroffen, oder?

 

Ich habe meine Dissertation vor 2012 geschrieben, aber Rassismus und rassistische Diskurse haben schon früher existiert. Es ist wahr, dass der Rassismus in Deutschland immer mehr an Stärke gewinnt und sichtbarer wird. Früher konnte man behaupten, dass der Rassismus überwiegend in Marzahn oder Hellersdorf erschien. Heute kann kein Mensch leugnen, dass die rassistischen Verhältnisse über diese Randgebiete hinaus existieren. Wir erleben diese Verhältnisse heute viel stärker in der gesamten Gesellschaft, auf all ihren Ebenen. Wir sehen, dass der Rassismus heute von überall herkommt: Von oben, unten, rechts, links und aus der Mitte. Nicht nur „bildungsferne“ und „sozial benachteiligte“ Mehrheitsdeutsche sind heute gegen „die Anderen“, die als „nicht deutsch genug“ angesehen werden. Vielmehr sehen wir heute, wie Rassismus zum Beispiel in den medizinischen, juristischen, wissenschaftlichen und politischen Diskursen gestärkt wird.

In meiner Dissertationsarbeit habe ich versucht, einen mehrdimensionalen Aspekt von Rassismus zu zeigen. Viele, die das Buch nicht gelesen haben, aber den Titel schon kannten, haben sich gefreut, dass ich endlich zum Thema Islam und Homosexualität eine wissenschaftliche Arbeit geliefert habe. Alleine diese Hoffnung zeigt mir, wie die Mehrheitsdeutschen darauf warten, dass jemand von den „muslimischen Ausländern“ die Homophobie unter Muslim_innen zum Ausdruck bringt. Und diese Erwartung identifiziere ich als eine rassistische. Damit wird die eigene Homophobie unter den Teppich gekehrt und sie wird als ein Phänomen der in Deutschland lebenden muslimischen Migrant_innen diskutiert.

Deine Frage, ob ich den Zahn der Zeit getroffen habe, kann ich leider nur mit nein beantworten. Denn dieses Phänomen ist in der Geschichte Europas einschließlich Deutschland so verankert, dass wir immer über Rassismus sprechen können. Es wurde früher von „Ausländer- oder Fremdenfeindlichkeit“ gesprochen. Der Begriff Rassismus war und ist ein böseres Wort. Ich glaube, wir vergessen oft, dass wir in Berlin, Kreuzberg oder Neukölln leben. Ich denke nicht, dass Rassismus in anderen Stadtteilen Berlins und in anderen Regionen der Bundesrepublik so offen thematisiert wird.

 

 

 

Das erinnert mich an deine Aussage auf dem Festival gegen Rassismus, die mir nicht mehr aus dem Kopf geht. Du sagtest: Ich denke es gibt keine Zukunft für den Antirassismus. Danach hattest du die Beschneidungs- und Sarrazindebatte und die Diskriminierung gegen Frauen mit Kopftüchern aufgezählt und deine Aussage damit begründet, dass es den Rassismus nicht nur schon seit Jahrhunderten gibt, sondern immer neue rassistische Diskurse aufkommen.

Doch ist deine Aussage verwirrend, wenn beachtet wird, dass du als Person zwischen kritisch-engagierter Soziologie und politischen Aktivitäten bei Allmende e.V. und nun im Fachbeirat der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld wandelst.

Wie passt deine politische und wissenschaftliche Arbeit mit den sehr pessimistischen Zukunftsvorstellungen zusammen, in denen sich nicht der Rassismus, sondern der Antirassismus erledigt?

 

Es kann verwirrend sein, was ich gesagt habe und was ich mache. Es kann sich auch widersprüchlich anhören. Die Frage nach der Zukunft des Antirassismus kann ich aus gegenwärtiger Sicht nicht positiv beantworten. Ich bin mir sicher, dass ich in meiner Zukunft keine Gesellschaft erleben werde, in der rassistische Verhältnisse nicht mehr existieren.

Es wurde im Diskurs des Antimuslimischen Rassismus immer wieder vom jüdisch-christlichen Europa gesprochen. Und wir haben immer wieder davon gehört, dass alles andere, was nicht jüdisch-christlich ist, nicht mit unseren kulturellen Werten vereinbar ist. Und mit einem Mal wird während der deutschen Beschneidungsdebatte nur von einem zivilisierten, säkularen, christlich geprägten Europa gesprochen. In dieser Debatte ist der europäische Antisemitismus wieder aufgetaucht. Da habe ich mich natürlich gefragt, was hier eigentlich passiert, hatten wir nicht eine jüdisch-christliche Kultur?

Und alles, was mich in diesen Zusammenhängen beschäftigt, beeinflusst auch, was ich sage und was ich mache. Und daher sage ich, ich kann mir in meiner Zukunft keinen Erfolg des Antirassismus vorstellen. Ich, als Person aber auch als Wissenschaftler, als Aktivist, als Partner, als Geschwister, als Freund, als Angehöriger dieses Staates bin auch mit Rassismus konfrontiert. Entweder eigene Erfahrungen, oder die Erfahrungen der anderen, die in meiner unmittelbaren Nähe sind oder die Ereignisse auf gesellschaftlicher Ebene beschäftigen mich zwangsläufig mit Rassismus und nicht mit Antirassismus.

Ich sehe, dass der antirassistische Widerstand größer wird, aber ich sehe auch, dass der Rassismus noch größere Dimensionen annimmt. Wir leben in einer Zeit, in der wir mehr Kraft brauchen, gegen Rassismus zu kämpfen. Aber wir sind eine kleine Szene, führen Begriffsdiskussionen, machen vor allem Theorie- und Textarbeit und erreichen die meisten Betroffenen mit unserer Arbeit nicht. Warum erreichen wir die Menschen nicht? Und warum gibt es keinen großen Aufbruch? Diese Fragen stimmen mich pessimistisch.

Und mein wissenschaftliches, politisches und individuelles Engagement richtet sich in erster Linie an Menschen, die von rassistischen Diskriminierungen bedroht oder betroffen sind. Ich setze mich dafür ein, Rassismus sichtbarer zu machen. Ich solidarisiere mich mit den von Rassismus Betroffenen. Ich versuche für die Menschen zu kämpfen und dies kann selbstverständlich den Antirassismus beinhalten.

Ich bin mir sicher, dass viele wissen, dass sie rassistisch diskriminiert werden. Sie sehen das entweder als normal an, oder sie definieren das nicht als Rassismus. Viele wissen aber nicht, dass diese rassistischen Verhältnisse nicht normal sind, oder sie glauben fest daran, dass sie nicht viel ändern können. Wenn ich denke, dass ich Wissen besitze und wenn ich auch weiß, wie ich dieses Wissen für den Schutz und Stärkung der Betroffenen einsetzen kann, dann tue ich das. Ich werde das auch immer tun, solange ich weiß, dass es Rassismus gibt.

 

 

 

Deine Studie ist beim Transcript-Verlag veröffentlicht worden. Im Titel der Dissertation stand Rassismus zusätzlich zur Islamophobie aufgeführt, im Buchtitel ist er nun nicht mehr zu finden.

 

Warum ich in meiner Dissertationsarbeit polemische Begriffe wie Islamophobie und Homophobie verwende, hat pragmatische Gründe. Der Titel sollte ein breites Publikum ansprechen. Wir wissen ja, dass viele „Religionskritiker_innen“ sich sehr gerne als islamophob bezeichnen. Damit begründen sie, warum sie den Islam „berechtigterweise“ kritisieren „dürfen“ und warum sie zum Beispiel „selbstverständlich“ vor ihm Angst haben (1). Mit dem Titel der Dissertation beabsichtigten wir (also ich und der Verlag), diese so genannten Religionskritiker_innen auf das Buch aufmerksam zu machen und sich mit dem Thema neu auseinanderzusetzen. Ob das uns gelungen ist, kann ich hier und jetzt nicht sagen. Ich merke aber immer wieder in meinen Vorträgen, wie es den sogenannten „Religionskritiker_innen“ schwer fällt, den Begriff des Antimuslimischen Rassismus zu artikulieren.

Es gibt natürlich auch andere Gründe, warum ich den Begriff Islamophobie als einen der zentralen Begriffe benutzt habe. Wir leben in einer Zeit, in der wir mehr über Begriffe reden als über Inhalte oder Tatsachen. Im internationalen Kontext ist der Islamophobie-Begriff immer noch etablierter. Mit meinem Buch habe ich auch den Anspruch, den Diskurs über „böse“ Muslim_innen in der Bundesrepublik Deutschland auf internationaler Ebene zu thematisieren. Und ich kann jetzt sagen, dass es mir auch gelungen ist, dass mein Buch sowohl in den anderen deutschsprachigen Ländern, als auch in den anderen westlichen Ländern eine gute Resonanz gefunden hat. Auch in den USA wird das Buch schon besprochen. Daher habe ich mich in meinem Buch nicht auf eine Begriffsdiskussion eingelassen. Es ging und geht mir darum, die Fakten sichtbar zu machen, ob wir das Antimuslimischer Rassismus, Muslimen- und Islamfeindlichkeit oder Islamophobie nennen, ist für mich nicht entscheidend. Trotzdem habe ich im Buch erklärt, dass ich all diese Begriffe als Synonym für Antimuslimischen Rassismus benutze. Und wenn mein Buch gelesen wird, hoffe ich, dass verstanden wird, dass es mir nicht um Begriffe, sondern um die Fakten geht.

Selbstverständlich gilt diese Begriffshaltung auch für die Homophobie, die im Fremdwörterbuch von Duden immer noch als krankhafte Angst vor Homosexuellen definiert wird.

 

 

 

Homophobie ist ein unliebsames und häufig für erledigt erklärtes Thema. Doch die Verbindung zwischen Homophobie und der diffus bestimmten „Gruppe” junger männlicher muslimischer Migranten wird ständig hergestellt und erweist sich als relativ aufklärungsresistent. Dies zeigen unter anderem die Gesinnungstests, die Migrant_innen aus den sogenannten Drittstaaten zugemutet werden.

Deine Studie verwirft diese Verkettung und hält einer Gesellschaft den Spiegel vor. Du hast insgesamt 15 schwule Männer in Berlin interviewt, vor allem muslimische/als muslimisch angesehene Männer, sowie deren deutsche Partner, mit folgendem Ergebnis: In den Biographien deiner Interviewpartner überschneiden sich Erfahrungen homophober und rassistischer Diskriminierung. Wie wird auf deine Ergebnisse reagiert?

 

Es ist oft unangenehm, über sich zu sprechen, sich zu bewerten oder zuzugeben, dass wir als Menschen nicht immer bereit sind, die anderen zu akzeptieren wie sie sind.

Deswegen danke ich meinen mehrheitsdeutschen Interviewpartnern dafür, dass sie von ihren Erfahrungen mit Homophobie im eigenen häuslichen und sozialen Umfeld erzählt haben. Durch ihre Erzählungen konnte ich belegen, dass das Thema Homophobie in Deutschland noch nicht erledigt ist. In meiner Studie habe ich mehrere Beispiele von Interviewpartnern, die von muslimischen Familien abstammen und damit gute Erfahrungen gemacht haben und noch immer machen.

Wenn ich darüber nachdenke, dann stelle ich fest, dass mir viele Menschen sagen - oft auch weiße schwule Aktivisten - dass wir im Gegensatz zu muslimischen Ländern in Deutschland doch ein besseres Leben haben. Und oft frage ich mich, warum dieser Vergleich immer kommt. Und dieser Vergleich ist meiner Meinung nach immer ein Instrument, die Menschen, Menschengruppen und Gesellschaften voneinander zu differenzieren, diese als besser oder schlimmer zu klassifizieren oder zu hierarchisieren. Wir denken immer daran, wer oder was besser oder schlechter ist. Eine Selbstreflexion ist eine harte Arbeit. Schwieriger ist aber, über unsere Privilegien zu sprechen.

Mein Publikum versteht fast nie, dass es mir nicht um einen Vergleich zwischen Ländern, Gesellschaften und Menschen geht. Viele übersehen oder ignorieren, dass meine Studie eine Feldstudie ist, die ich in Berlin geführt habe. Viele wollen nicht hören, dass auch in Berlin homophobe Diskriminierungen erfahren werden. Die Diskriminierungserfahrungen von mehrheitsdeutschen Schwulen und anderen werden oft miteinander verglichen und oft wird behauptet, dass wir in Deutschland weniger diskriminiert werden. Viele haben Schwierigkeit zu akzeptieren, dass auch in der Partnerschaft Rassismus oder Klassismus sehr präsent sind. Manchmal muss ich auch hören, dass „wir“ als „Schwule Minderheit“ nicht diskriminierend sein können, denn wir würden selbst wissen, was das Diskriminiertsein bedeuten würde. Und deswegen würden wir die Anderen nicht diskriminieren. Und wenn ich darüber nachdenke, wie die weiße Schwulen-Szene weit entfernt ist von einem Verständnis der Diskriminierungsfreiheit, dann merke ich immer, dass wir in dieser Gesellschaft noch viel zu tun haben.

In meinen Vorträgen werde ich auch oft nach Lösungsvorschlägen gefragt, was wir beispielsweise gegen Rassismus tun sollen. Ich werde oft damit konfrontiert, Lösungen für die Probleme der Mehrheit produzieren zu sollen. Natürlich versuche ich zu sagen, dass die Menschen verpflichtet sind, ihre eigenen Probleme selbständig zu lösen. Wenn ich sage, Rassismus ist das Problem der Mehrheitsgesellschaft, meine ich damit auch, dass die Mehrheitsgesellschaft verpflichtet ist, dieses Problem selbstständig zu lösen. Mein Beitrag ist, Rassismus und Homophobie sichtbar zu machen.

 

Gab es von Seiten deiner Interviewpartner konkrete Wünsche oder Aufgaben an dich? Was machte die Zusammenarbeit mit dir für sie so interessant?

Es war eigentlich nicht einfach, über Privatsphäre zu sprechen, gerade dann, wenn jemand von der Uni kommt und dich fragt: „Kannst du mir deine Lebensgeschichte erzählen, weil ich eine Forschung zum Thema XY durchführe?”

An Anfang stieß ich auf verschiedene Reaktionen der Personen, die ich für meine Studie angefragt habe. Viele der Angefragten haben nein gesagt. Es gab aber andere, die unentschlossen waren, ob sie was erzählen wollten oder nicht. Dann gab es ganz mutige, die ganz offen waren und sogar kein Problem mit der Veröffentlichung ihrer wirklichen Namen hatten. Da sind natürlich ganz viele Fragen im Forschungsprozess aufgetaucht. Forschungsethische Fragen meine ich.

Aber wenn wir bei der Frage bleiben wollen, was so interessant war: Da sind ganz unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen seitens der Interviewpartner festzustellen. Manche wollen zum Beispiel eigene individuellen Erfahrungen mit unterschiedlichen Formen der Diskriminierung als soziale Tatsache öffentlich artikulieren und sie sahen meine Studie als eine Möglichkeit, Gehör zu finden, ohne gesehen zu werden, weil alles anonymisiert wurde. Es war ihnen auch wichtig, nicht sich selbst sichtbar zu machen, sondern die Diskriminierungen als soziale Phänomene. Manche Interviewpartner fanden durch die Studie auch neue Möglichkeiten, ohne politische Ziele oder Botschaften einfach über sich und eigene Probleme zu sprechen.

 

Deine Studie arbeitet gezielt gesetzliche Lücken in Sachen Schutz vor Diskriminierung heraus. Ein Beispiel ist das Gesetz zur Eingetragenen Lebenspartnerschaft, das du kritisierst. Warum?

Das Gesetz scheint normalerweise in Ordnung zu sein. Es geht mir eigentlich nicht nur um die Lücke dieses Gesetzes, sondern auch dessen Konzept als Kopie der Ehe.

Ein Beispiel dafür ist, dass die migrantischen Homosexuelle nachweisen müssen, dass sie in ihrem Herkunftsland nicht verheiratet sind. Ich denke, dass diese Bedingung auch in Ordnung ist. Was ich als störend empfinde ist, dass diese Homosexuellen aus anderen Ländern unbedingt ein Ehefähigkeitszeugnis vorlegen müssen. Das ist einfach ein sprachliches Problem. Anstatt eines Lebenspartnerschaftsfähigkeitszeugnisses müssen sie ein Ehefähigkeitszeugnis vorlegen. Da gibt es eine doppelte Moral. Weil dieses Ehefähigkeitszeugnis auch von Heterosexuellen verlangt wird, aber wenn die Heteros diese Zeugnis vorlegen, dann dürfen sie die Ehe eingehen und nicht nur die Lebenspartnerschaft.

Was ich sagen möchte ist, dass dieses Gesetz die Doppelmoral der Staatsideologie und der heteronormativen Gesellschaft plastisch zeigt. Und alles andere, was die Gleichstellung mit Ehe oder steuerrechtliche Ungleichheit angeht – also relativ bekannte Diskussionen zur Zeit – zeigt den Sonderstatus der eingetragenen Lebenspartnerschaften.

Ich glaube, dass diese Gesellschaft die Heteronormativität mit Hilfe dieses Lebenspartnerschafts-Gesetzes verleugnet. Im Dezember 2012 gab es in Hannover in der CDU große Diskussionen über die Unmöglichkeit der Gleichstellung der Lebenspartnerschaft mit der Ehe. Das hat man damit begründet, dass die Familie - damit ist die heterosexuelle Familie gemeint - eine besondere Rolle hat, sie sei heilig und Bedingung der Fortpflanzung, ja der Gesundheit der Gesellschaft. Und die CDU bestand darauf, dass die Lebenspartnerschaften diese „wichtige“ Bedeutung nicht haben, Lebenspartner_innen dürfen bestimmte Rechte haben, aber können und dürfen nicht mit der Ehe gleichgestellt werden.

 

Deine Auseinandersetzung mit Gesetzen stellt sehr konkrete Ansatzpunkte für politische Kämpfe her. Wer soll diese führen?

Das ist eine wichtige Frage, die mich immer wieder beschäftigt. Ich denke, das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Wir haben aber immer wieder Wissenschaftler_innen, Aktivist_innen oder andere Menschen, die sich als systemkritisch bezeichnen. Wir brauchen ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein politische Kämpfe zu führen. In der Zeit der extremen Individualisierung ist es schwieriger geworden die Massen zu erreichen, obwohl die Kommunikationstechnologien sich extrem schnell entwickelt haben und wir uns in einer Informationsflut befinden. Ich habe oft das Gefühl, dass wir uns als Wissenschaftler_innen und Aktivist_innen in einem geschlossenen Kreis bewegen. Publikationen oder andere Aktivitäten auf der aktivistischen Ebene erreichen die Masse nicht. Und das ist das Problem und dieses Problem wird noch lange existieren. Wichtig ist aber, dass wir uns als Wissenschaftler_innen und Aktivistinnen immer im Klaren darüber sein sollen auch andere soziale Beziehungen zu haben, zum Beispiel zu unseren Familien, Nachbar_innen, Kolleg_innen oder Freund_innen. Wenn wir es schaffen, die Themen, die wir in den geschlossenen Kreisen diskutieren, auch außerhalb des Kreises zu artikulieren, dann kann das auch schon ein bisschen helfen. Aber dafür brauchen wir viel Zeit.

 

Erstaunlich ist, dass obwohl sich der Ansatz der Intersektionalität wissenschaftlich in Deutschland etabliert zu haben scheint, es neben deiner Studie ansonsten keine systematischen Untersuchungen zu Homophobie und Islamophobie gibt. Woran liegt das?

Ob dieser Ansatz etabliert ist, können wir diskutieren. Wie ich eben gesagt habe, wir bewegen uns in geschlossenen Kreisen. Ein Beispiel: Ich hatte in einem Vortrag über Intersektionalität gesprochen. Und nach einer Stunde bekam ich eine Anmerkung von einem Promovierenden in Medizin, dass er keine Verbindung zwischen meinem Vortrag und Intersexualität herstellen konnte. Da habe ich wieder verstanden, dass ich in einer Sprache spreche, die nicht bekannt ist. Dieser Mensch hat die Intersektionalität als Intersexualität verstanden und beschäftigte sich während meines Vortrags mit den Begrifflichkeiten und nicht direkt mit den Inhalten. Ich bemühe mich nicht immer, wissenschaftlich und politisch korrekte Begriffe zu finden. Die Begriffe sind natürlich sehr wichtig. Es geht mir aber vor allem um Konzepte von sozialen Ereignissen und auch um Verhältnissen, die konfliktreich sind oder sein können.

Warum es keine oder nur wenige systematische Untersuchungen zum Thema Heteronormativität und Rassismus gibt, kann schnell verstanden werden. In dieser Gesellschaft lieben wir die Kategorien. Wir lieben auch diese Kategorien zu hierarchisieren. Und was wir noch mehr lieben ist, die hierarchisierten Kategorien negativ oder positiv zu bewerten. Und diese Bewertungen dienen oft zur Inklusion und Exklusion. Das heißt, wenn wir über Schwule sprechen, sprechen wir gleichzeitig über Schwulenfeindliche. Und wir definieren in diesen Gesprächen die Schwulenfeindlichen. Seit dem Lebenspartnerschaftsgesetz von August 2001 und dem 11. September gleich danach sprechen wir über homofeindliche muslimische Jugendliche. Und jetzt haben wir gleich zwei Kategorien, einerseits schwule und andererseits schwulenfeindliche muslimische junge Männer. Wir denken nicht immer, dass ein Mensch gleichzeitig jung, muslimisch, erwerbslos, männlich und homosexuell ist, der aber auch eine Behinderung haben kann oder keinen sicheren Aufenthaltsstatus hat. Wir arbeiten oft mit dem Entweder-Oder-Prinzip. Das spiegelt sich auch in den existierenden Forschungen wider, in denen oft die homophobe Tendenz der muslimischen jungen Männer untersucht wird, nicht aber die mehrdimensionale Diskriminierung von „muslimischen Schwulen“ und deren Partnern.

In meiner Studie habe ich mich nicht direkt damit beschäftigt, warum wir mit diesem Prinzip arbeiten, vielmehr war es mir wichtig, hervorzubringen, was intersektionale Diskriminierung für die Betroffenen bedeutet, welche Rolle dieses Problem etwa für ihre Lebensgeschichte und Gegenwart spielt. Es gibt im Forschungsbereich ein großes Desinteresse an intersektionalen Studien, die direkt mit Rassismus, Klassismus, Geschlecht oder sexueller Orientierungen verbunden sind. Die Intersektionalen Studien und Forschungen behandeln oft andere Überschneidungen von Diskriminierungen, zum Beispiel zwischen sozialem Status, Behinderung oder Geschlecht, was ich auch sinnvoll finde. Ich kann das Desinteresse nicht erklären, ich möchte es nicht erklären, sonst würde ich den Rassismus auch im Forschungsbereich entpuppen.

 

Der Ansatz der Intersektionalität wird mitunter stark kritisiert, etwa für zu starre und herrschaftsförmige identitäre Kategorisierungen, die dem komplexen alltäglichen Leben von Menschen nicht gerecht werden. Wieso hast du dich dennoch für diesen Ansatz entschieden? Worin siehst du sein progressives Potenzial in Forschung und Politik?

Ich finde diesen Ansatz nicht so problematisch. Dieser Ansatz ermöglichte mir, über mehrere Merkmale einer Person - diese können auch identitär sein - nachzudenken, die entweder gleichzeitig oder parallel wirken. Der intersektionale Ansatz verlangt Menschen, Ereignisse oder Situationen mehrdimensional zu bearbeiten. Das ist gerade das Ziel, zu betrachten, welche Zusammenhänge es von Rassismen, Klassismen und Heteronormativismen gibt.

Ob dieser Ansatz ein Potenzial für die Forschung hat, weiß ich nicht genau. Es gibt auf der theoretischen Ebene Auseinandersetzungen mit der Intersektionalität. Und auf der praktischen Ebene gibt es Versuche, den intersektionalen Ansatz im Zusammenhang von Mehrfachzugehörigkeit und Mehrfachdiskriminierung zu verwenden. Die Arbeit von LesMigras ist ein Beispiel dafür.

 

Du beginnst dein Buch „Homophobie und Islamophobie” mit Gedanken zu Europa. Doch am Ende kommst du nicht darauf zurück. Gibt es noch Hoffnungen für Europa, das offensichtlich auch eine Krise der hochgehaltenen Werte wie Toleranz und Anerkennung gegenüber „Anderen“ durchlebt?

Ich kann nicht sagen, ob es noch Hoffnungen für Europa gibt. Es ist schwierig, diese Frage zu beantworten. Toleranz und Anerkennung gegenüber „Anderen“ werden bestimmt möglich sein. Ich weiß aber noch nicht, ob wir dann die „Anderen der Anderen“ erfinden und wieder von Toleranz und Anerkennung gegenüber den „Anderen der Anderen“ sprechen werden?

Daher würde ich diese Frage offen lassen. Ich würde hier außerdem zum Ausdruck bringen, dass meine Studie eine Gegenwartsanalyse ist. Die Ergebnisse der Studie können mögliche Zukunftsprognosen beinhalten. Aber das ist nicht das Ziel meiner Arbeit gewesen.

 

Wie geht es nun für dich weiter?

Ich habe vorhin versucht zu sagen, dass ich das Desinteresse der mehrheitsdeutschen Akademie nicht erklären möchte, denn ansonsten würde ich den Rassismus im Forschungsbereich entpuppen. Das ist selbstverständlich ironisch gemeint. Wir haben deutschlandweit ganz viele Studiengänge in den Sozialwissenschaften, aber wir sehen auch, dass die Sozialwissenschaften eurozentrisch geprägt sind. Auch Lehrkräfte, die sich mit Rassismen beschäftigen, bekommen nicht genügend Fördermittel, ihre Projekte weiterzuführen. Es sei denn, sie forschen über Integration. Und ich denke oft darüber nach, wie man alternative Forschungen außerhalb der Universitäten durchführen kann. In der Türkei gibt es zum Beispiel Offene Universitäten, die weder staatlich noch kommerziell sind. Diese Unis sind Initiativen von Gruppen, die systemunabhängig Wissen produzieren und teilen wollen. In der Zukunft würde ich mich für solche Projekte einsetzen, mit den Schwerpunkten asymmetrische soziale Verhältnissen in unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft wie der Wissenschaft.

 

Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für dieses Projekt!

 

(1) Warum Islamkritik kein Subgenre der Religionskritik ist und warum Islamkritik nicht emanzipatorisch sein kann fasst der Soziologe Georg Klauda in vier Thesen zusammen.