Schwarzfahren sei ein rassistischer Begriff und gehöre aus dem Sprachgebrauch verboten! So zumindest war es die Forderung eines Münchner Politikers, der die lokale Verkehrsgesellschaft aufforderte, das Wort „Schwarzfahrer“ künftig in den U-Bahnen, Straßenbahnen und Bussen „durch einen anderen Begriff, der nicht-rassistisch ist, (zu) ersetzen“. Die umgangssprachliche Bezeichnung stelle „die Hautfarbe bestimmter Menschen in einen negativen Kontext“.
Stimmt das? Wie kann ich diesen Begriff nicht nur nicht im Alltag benutzen sondern überhaupt noch in meiner Forschung verwenden, wo es sich doch so zentral auch ums „Schwarzfahren“ dreht? Ich befrage das Internet. Es spricht zu mir: 'Martin, beruhige Dich! Das hat alles nichts mit Rassismus zu tun!' Ich beruhige mich!
Tatsächlich – das lese ich und sagt mir die Etymologie: – findet sich hier doch der Ursprung des Präfixes „Schwarz-“ im Jiddischen. Dort, abgewandelt vom Wort shvarts, heißt es soviel wie arm. Das macht, ergibt und hat Sinn. Denn wer sich kein Ticket leisten kann, weil sie kein Geld hat, fährt, schlicht aus Armut, schwarz. Nicht nur das, Schwarz lässt sich auch farblich ableiten. Etwas wird im Dunklen gemacht, da doch verboten. Und wer kein Geld hat oder anderes Verbotenes tut – weil arm, versteht sich – fährt, sieht, arbeitet: schwarz! Und kauft auf dem Schwarzmarkt!
Das beruhigt mich zu Recht, denke ich. Vorerst. Andererseits: Ich möchte nicht in die Hände einer pseudoetymologisch-linguistisch begründeten Legitimierungen spielen, die für einen konservativen, starren Sprachgebrauch eintritt. Es sind nicht zuletzt Junge Freiheit, PI-News und Kopp-Verlag oder eine Bürgerinitiative die für den „Ausländerstopp“ eintritt, die auf die jiddische-Begriffsherkunft verweisen und anitrassistische Sprachkritik ins Lächerliche ziehen wollen. Denn auch wenn „Schwarzfahren“ und die Präfixe „Schwarz-“ in ihrer historischen Entstehung nicht an koloniale, rassisch-rassistische Bezüge und Bedeutungen geknüpft wurden; wenn die entstandenen Begriffe also tatsächlich aus dem Jiddischen heraus in die deutsche Alltagssprache transferiert und in ihrer Bedeutung mit dem Bezug auf „Arm“ und „Armut“ verstanden worden, muss dies nicht bedeuten, dass eine Begriffskritik heutzutage zwangsläufig ins Leere läuft. Der historische Kontext hat sich geändert; Rassismus und Kolonialismus haben sich tiefgreifend in die (Denk)Strukturen in Deutschland eingegraben und erschweren das Erkennen zur Gewohnheit und zum Alltag gewordener rassistischer Elemente unseres Sprechens. Inwieweit nicht schon im jiddischen „Shvarts“ eine rassistische Verknüpfung enthalten ist, hab ich bisher nicht rausfinden können. Immerhin ließe sich für Arm und Armut auch andere Begriffe finden (orem, oremkeit, schwach, dales etc.). Darüberhinaus meint Shvarts sehr wohl auch schwarz und tritt auch in Verbindung mit Menschen als Schwarze auf.1
Eine rassistische Aufladung erhält der Begriff aber spätestens dann, wenn dieser von Schwarzen als mit rassistischem Potential ausgestattetet erkannt wird2 und einschlägige ultra-konservative und anti-emanzipatorische Gruppen und Akteure die Kritik als „an den Haaren herbeigezogen“ zu delegitimieren versuchen. Eine begriffliche Auseinandersetzung und Verunsicherung erscheint gerade dann mehr als gerechtfertigt und notwendig!
Dem Ruf der Kritik folgt leider nicht sofort ein mich vollends zufriedenstellender Lösungsvorschlag. Den will ich hier auch gar nicht bringen, weil ich nicht ein Wort als ausgereift präsentieren will, welches es nicht zu hinterfragen gelte. Ein Konsens mit mir selbst zöge keinerlei gesellschaftliche Denk- und Aushandlungsprozesse nach sich. Ich und wir sind daher auf Vorschläge von uns angewiesen. Das streichen des Begriffes Schwarzfahren ließe sich vielleicht durch die Verwendung schon bestehender Begriffe zur Umschreibung des gleichen Phänomens lösen. Das Zauberwort: Beförderungserschleichung ! – Es ist durch seine fast dichterische Theatralik in der Lage, allzu alltägliche Sachverhalte ein wenig abenteuerlicher zu machen, zu dramatisieren und in die Sphäre der Illegalität zu heben. Spannend!
Aber nein…!
Es muss doch etwas anderes geben. Einen festverankerten Alltagsbegriff durch das Vokabular der Behörden und Verkehrsbetriebe zu ersetzen, hieße auch die darin implizierten Hierarchien und Deutungen zu übernehmen. Für meine Forschung werde ich dafür keine Verwendung finden (wollen).
Stattdessen werde ich mich vorerst im weiteren Verlauf meiner Forschung behelfsmäßig einer Wortkonstruktion im Prozess bedienen: Shvarts*fahren .
Dieser Begriff, taugt leider nur zum lesen und schreiben, bleibt aber unaussprechbar und nicht hörbar, verweist auf die hier angesprochenen Diskurse. Der Alltagsbegriff bleibt vorerst erhalten, ohne dass dieser nicht auch verunsichert wird. Er bleibt solange bis es was Besseres gibt. Denn nach den oben genannten Problemen, kann auch mein Vorschlag kein einwandfreier sein. Aber zumindest das kann ich zu hundertprozentiger Sicherheit vertreten: Das wollt ich auch gar nicht!
1 „shvartse(r) ‚black person,‘ shvarts yor ‘devil, hell’ < lit. ‘black year’ ~ Ger. schwarz (+Yidd./Ger. masc. –er), Jahr” (Southern 1961: 41) In: Southern, Mark R. V. (1961): Contagious Couplings. Transmission of Expressives in Yiddish Echo Phrases. Praeger Publishers.
2 Davon zeugt nicht zuletzt der Kurzfilm „Der Schwarzfahrer“ aus dem Jahr 1992 vom Regisseur Pepe Danquart. Das Titelbild dieses Artikels zeigt die Schauspielerin Senta Moira aus diesem Film in ihrer Rolle als ältere, bürgerliche Frau die einen jungen Schwarzen Mann und Sitznachbar in einer Berliner Straßenbahn aufgrund seiner Hautfarbe beschimpft.
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