Die Krise ist jung
Kein Ende in Sicht? Die ILO-Studie zeigt Rekordzahlen der Arbeitslosenquote in Südeuropa. Betroffen davon sind weiterhin vor allem Jugendliche.
Aus den Auswertungen der ILO Studie geht hervor, dass ca. 55 % der unter 24-Jährigen in Griechenland und Spanien von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Die Prognosen gehen davon aus, dass sich die Zahlen bis 2015 nicht wesentlich verbessern werden. Damit zeigt der ILO-Bericht auch, wie falsch die Einschätzungen der IWF, EU und EZB waren. Die Erwerbslosigkeit wurde nur halb so hoch prognostiziert.
Vor, nach und während meines Filmprojekts habe ich mit jungen StudentInnen und UniabsolventInnen aus „Krisenländern“ in Berlin gesprochen. Die Hoffnungslosigkeit bei einigen ist sehr groß. Die meisten, mit denen ich gesprochen habe, wissen, dass das Leben hier auch kein „Zuwandererparadies“ ist. Auch hier findet sich nicht gleich ein Job in dem erlernten Berufsfeld. Oft findet sich aber auch kein Job in anderen Berufsfeldern. Arbeiten in der Gastronomie, in der oftmals Englischkenntnisse ausreichen, sind mittlerweile rar geworden.
„Meine Generation hat die beste Qualifikation in spanische Historie. Fast alle haben in Universität studiert. (…) Wir sprechen Sprachen. Aber wir haben KEINE Arbeitsmöglichkeit: findet fast jeder zweite junge Mensch keinen Job...Die Arbeitslage in Spanien ist katastrophal. Es gibt keine Angebote. Ich kenne viele Arbeitslose, und diejenigen, die arbeiten, tun dies nicht mehr unter den gleichen Bedingungen wie noch vor einigen Jahren. Die Arbeitslosigkeit steht auf der Tagesordnung. Ich denke, dass die Wirtschaftskrise in Spanien sehr plötzlich gekommen ist und sie nur sehr langsam, fast unbemerkt, bewältigt werden wird. (…) Ich weiß, dass hier nicht einfach ist, ein Arbeit finden...Die Lage ist hier etwas besser als in Spanien, da die Wirtschaftskrise nicht so ausgeprägt ist. Trotzdem ist es schwierig, Arbeit zu finden. (…) Ich glaube, ich muss noch mehr Deutsch lernen bis ich einen Job bekomme.“ (Clara, 27, Agraringenieuren aus Spanien)
Zu viele Spanier?
Mehr als 3000 Spanier sind 2011 laut Tagesspiegel nach Berlin gekommen. Das Bild scheint sich in unserem Alltag zu bestätigen. Wir hören immer mehr spanisch sprechende Menschen in der U-Bahn und am Nachbartisch in der Kneipe. Auch der Kellner selbst spricht spanisch. Viele Sprachschulen sind überbucht, neue Deutschlehrer werden gesucht. Diese Erfahrungen, Bilder und Eindrücke habe ich im Alltag und während meines Projektes gesammelt. María, eine der Protagonistin aus meinem Filmprojekt, sprach auch mit mir darüber. Sie werde immer wieder von Bekannten aus Spanien gefragt, ob sie ihnen bei einer Wohnungssuche und Jobvermittlung helfen könne. Mittlerweile sind es auch völlig Unbekannte, die sie fragen. Sie haben über mehrere Ecken erfahren, dass María in Berlin lebt und hier mittlerweile viele Leute kennt. Sie selbst könne aber nur sehr selten weiterhelfen.
Die hohen Arbeitslosenzahlen erfordern Lösungswege. Aber wie können diese aussehen? Zahlreiche und vielfältige Bestrebungen der Bundesregierung gut ausgebildete Jugendliche nach Deutschland zu akquirieren als ein Ausweg? Fragwürdig. Denn „Fachkräfte“ werden auch in Spanien, Griechenland oder Portugal gebraucht. Der Trend der Abwanderung führt zu weiteren Folgen für hochverschuldete Länder in naher Zukunft. "Tausend junge Ingenieure, die gehen - das ist ein volkswirtschaftlicher Schaden von 50 Millionen Euro." (Bundesjugendsekretär des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, Michael Trinko)
„Wenn das so weitergeht, wird Spanien bald leer sein und nur noch alte Menschen werden dort leben.“ (Clara) Dieser Aussage begegnete ich während meiner Forschung oft.
Wie wird es weitergehen?
Wird die Finanzkrise zu einer sozialen Krise? Dies geht aus dem EU-Sozialbericht hervor. „Europa könnte seine Zukunft verlieren. (…) Menschen haben keine Hoffnung mehr. Sie können ihre Energie und ihr Wissen nicht für den Aufbau der Wirtschaft einsetzen. Das ist fatal. Hier müssen die Mitgliedsstaaten ansetzen können. Auch mit Ausgaben, die die Verschuldung vorübergehend erhöhen. Es geht um Gründungsinitiativen, duale Ausbildungswege, Förderungen. Wenn es nicht gelingt, junge Menschen in Arbeit zu bringen, verliert dieser Kontinent seine Zukunft.“(Christoph Pössl)
Ist die Finanzkrise nicht schon längst zu einer sozialen Krise geworden?
Von einer „neuen Kluft“ spricht EU-Sozialkommissar Lázslo Andor. Der Süden versinke in Armut und Arbeitslosigkeit, der Norden uns besonders Deutschland stiegen auf.
Die gegenwärtigen Prozesse und Überlegungen zu Europa beschäftigen auch María, einer der FilmprotagonistInnen. In einem Gespräch hielt sie fest: „Was ist eigentlich dieses Europa?" Keine neue Frage in Diskursen innerhalb unseres Fachs. Sie bekommt aber vielleicht aufgrund der „Krise“ und dessen Folgen ein neues Gesicht.
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